Übung zur deutschen Kurrentschrift

In Italien verbreitete sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts eine Handschrift, die sich bewusst von der gebrochenen gotischen Schrift abgrenzte und deren Buchstaben littera antiqua genannt wurden. Dabei orientierte man sich an der karolingischen Minuskel, die man für eine antike Schrift hielt, obwohl eigentlich nur deren Grossbuchstaben wirklich dem Formenschatz der alten römischen Steininschriften (Capitalis quadrata) entliehen waren. Vor allem die Humanisten verwendeten diese Schrift bevorzugt, zumal sie damit auch eine kulturelle Aussage verbanden. Die littera antiqua standen gegen Ende des 15. Jahrhunderts Pate für die in den italienischen Druckereien entwickelten Typen und wurde damit ausserhalb des deutschsprachigen Raums zur eigentlichen Standardschrift. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts löste die Antiqua auch in den deutschsprachigen Gebieten die Fraktur zunehmend ab, so dass unsere heutigen Schrift-, Druck- und Bildschirmschriften letztlich allesamt Abkömmlinge oder Variationen der Antiqua sind.

Die Transkription lautet:

qui consiste en douze florins Vous avez oublié
garde cependant de laisser échaper cette occasion sans Vous marquer
emploiée Dans la Bibliothèque du Roi et qui a austrefois
in pretio haberi meo Pfaffio Datum Basileae
persuadeam solo desiderio studium suum affectumque divino

Die romanischen Kursiven sind für uns viel einfacher zu lesen, da ihre Buchstabenformen fast vollständig denen der Antiqua entsprechen. Mit den deutschen Kursiven aus der gleichen Zeit haben die romanischen Beispiele gemeinsam, dass sie recht stark geneigt und die Buchstaben verbunden sind, sowie dass sie zwei verschiedene s-Formen verwenden. Dabei besteht ein wichtiger Unterschied: die lange s-Form der romanischen Schriften sieht nicht wie das lange s, sondern wie das h der deutschen Kurrentschrift aus!

Wie Du im Tutorium gelesen hast, vermischen sich die beiden Stränge der gleichzeitig existierenden frühneuzeitlichen Schriften nicht. Hier hast du nun ein Beispiel dafür, dass der Schrifttyp von der verwendeten Sprache abhängig ist. Obwohl die Korrespondenz zur selben Zeit am selben Ort geschrieben wurde, wurde konsequent die romanische Schrift für die romanischen Sprachen verwendet, und die deutsche Kurrent für die deutschsprachigen Briefe.