Die Sprache der Quellen

In Westeuropa ist die Sprache der schriftlichen Kommunikation zunächst fast ausschliesslich Latein. Im frühen Mittelalter kommen allmählich die Volkssprachen wie z. B. Altenglisch, Altsächsisch, Altirisch und auch Althochdeutsch hinzu. Im Verhältnis zu den in Latein geschriebenen Texten handelt es sich bei der deutschsprachigen Überlieferung um eine «Literatur in tastenden Anfängen» (Stefan Sonderegger), da die Textbasis noch sehr schmal ist.

Um die Sprache einer deutschsprachigen Quelle einordnen und beschreiben zu können, müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden: die Entstehungszeit, der Entstehungsraum, die Funktion des Textes (für den privaten oder öffentlichen Gebrauch). Am wichtigsten sind dabei die Faktoren Zeit und Raum. Für die ältere Zeit kann man über die Schreiber wenig bis keine Aussagen machen, da sie oft anonym bleiben und darüber hinaus in der Regel auch nicht identisch mit den Autoren sind.

Benediktinerregel mit althochdeutschen Glossen. Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. 916, fol. 34.

In spätantiken Texten werden immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen volkssprachliche germanische Wörter zitiert oder als Fremdwörter verwendet, wie z. B. in der Lex Alamannorum «quod Alamanni mortaudo dicunt» (mortaudo = Meuchelmord).
Seit dem 8. Jahrhundert werden Glossen in lateinische Handschriften zwischen die Zeilen (interlinear) oder am Rand (marginal) eingetragen. Erste autochthone althochdeutsche Texte treten gegen Anfang des 9. Jahrhunderts. auf, wie die Heldendichtung Das Hildebrandslied oder Texte kirchlichen Inhalts wie das Evangelienbuch von Otfried von Weissenburg. Erst ab dem 12. Jahrhundert werden vermehrt auch Texte weltlichen Inhalts in Deutsch abgefasst, die ersten deutschen Urkunden sind um die Mitte des 13. Jahrhunderts überliefert.
Mit der allgemeinen Zunahme der Schriftlichkeit im 14. Jahrhundert nehmen auch die deutschsprachigen Texte stark zu und das Textsortenspektrum erweitert und verändert sich. Neben religiösen Texten werden nun vermehrt auch Inhalte des Kultur- und Alltagslebens verschriftlicht, im Zuge der Reformation z. B. erste politische Flugschriften.

Bei der chronologischen Einordnung ist die Orientierung an den sprachgeschichtlichen Perioden hilfreich. Das Deutsche wird von Beginn der Überlieferung bis heute in mindestens 4 Perioden eingeteilt, wobei immer sprachliche und aussersprachliche Kriterien angewendet werden.
Das Althochdeutsche reicht vom Beginn der Überlieferung bis ca. 1050.
Darauf folgt die Periode des Mittelhochdeutschen, das sich v. a. sprachlich durch die sogenannte Abschwächung der Nebensilben abhebt.
Das Frühneuhochdeutsche grenzt sich dann innersprachlich durch Veränderungen ab, die unsere heutige Standardsprache kennzeichnen, z. B. die nhd. Diphthongierung, die mitteldt. Monophthongierung und die Dehnung in offener Tonsilbe. Allerdings gehen die Entwicklungen in den einzelnen Regionen unterschiedlich schnell vor sich.
Die nhd. Periode setzt man mit dem Moment an, in dem die überregionale Schriftsprache entstanden ist und im deutschsprachigen Raum mehrheitlich verwendet wird, z. T. um 1650, z. T. aber auch erst um 1750.

  • Althochdeutsch 750 – 1050
    inti thin quena Elysabeth gibirit thir sun
    wenige volkssprachliche Texte (Glossen, Vocabularien, Bibelübersetzungen), Klosterkultur, Karl der Grosse

    volle Neben- und Endsilben, differenzierte Endungsflexion

  • Mittelhochdeutsch 1050 – 1350
    und Elîzabêth dîn hûsvrowe sal dir geberin einen sun
    spezifische literarische Strömungen (Minnesang, Höfische Dichtung, Heldenepik), Ritterkultur

    Nebensilbenabschwächung

  • Frühneuhochdeutsch 1350 – 1650/1750
    vnd deyn weyb Elisabeth wirt dyr eynen son geperen
    Ansätze einer überregionalen Verkehrssprache, Buchdruck, Reformation, erweitertes Spektrum an Textsorten

    frühnhd. Monophthongierung und Diphthongierung

  • Neuhochdeutsch / Gegenwartsdeutsch 1650/1750 –
    Deine Frau Elisabet wird dir einen Sohn gebären
    Buchdruck, elektronische Medien, 110 Millionen Sprecher v. a. in D, Ö und in der Schweiz

    überregionale und normierte Standardsprache, Umgangssprachen, Dialekte

Die Einteilung der Dialektlandschaften basiert auf der Durchführung der 2. (ahd.) Lautverschiebung, nach der die Laute p, t, k unterschiedlich realisiert werden: Südlich einer Linie als «offen», «Apfel», «Wasser», «Zeit», «machen», nördlich davon aber als «open», «appel», «water», «tid», «maken». Daraus ergibt sich die Einteilung in Hoch- und Niederdeutsch. Hoch benennt hier die geographisch höher liegenden Regionen.
Das Hochdeutsche wird wiederum in Ober- und Mitteldeutsch eingeteilt. Zum Oberdeutschen zählen die alemannisch-schwäbischen, die bairischen und die ostfränkischen Dialekte.
Das Mitteldeutsche ist eine Staffellandschaft, die unverschobene und verschobene Formen hat: das Westmitteldeutsche in der Gegend von Frankfurt a. Main beispielsweise hat «appel» und «pund»; das Ostmitteldeutsche hat «appel» und «fund».
Auf diesen Dialektlandschaften basieren die frühnhd. Schreiblandschaften. Im Oberdeutschen z. B. kann man gut zwischen bairischen und alemannischen Schreiblandschaften unterscheiden. Diese kennzeichnen sich durch Gemeinsamkeiten im graphematischen und morphologischen Bereich.

Die Gliederung in deutsche Druckersprachen.

Die Vorgänger unserer heutigen normierten Schriftsprache sind bis ins 16. Jahrhundert hinein dialektal geprägte Schreibsprachen. Im Althochdeutschen erfolgt die Verschriftung ausschließlich in Klöstern in einer jeweils landschaftlich geprägten Klostersprache. Die St. Galler Benediktinerregel beispielsweise ist alemannisch.
Die Sprache der mittelhochdeutschen Literatur ist demgegenüber durch eine gewisse stilistische Einheitlichkeit gekennzeichnet, die oft nicht erlaubt, Texte einer bestimmten Region zuzuordnen. Man kann aber von keiner mhd. Schriftsprache im heutigen Sinn sprechen, eher von einem literarischen Funktiolekt.
In mhd. Zeit wird das Netz der Schreiborte dann viel dichter als in ahd. Zeit, und in der frühnhd. Periode kommen dann zahlreiche städtische Schreibstuben hinzu. Man spricht dann von den spätmittelalterlichen Schreibdialekten, die mit den mündlichen Dialekten in einer engen Verbindung stehen. Daraus resultiert dann die Aufteilung in die frühnhd. Schreibsprachen, auf denen dann wiederum die Druckersprachen beruhen.

Titelblatt der Grammatik von Johann Christoph Gottsched: «Vollstaendigere und Neuerlaeuterte Deutsche Sprachkunst», Leipzig 1762.

Die Herausbildung unserer heutigen Schriftsprache fällt in die frühnhd. Zeit und ist in den Drucken ab dem 16. Jahrhundert zu beobachten. Ab dieser Zeit haben wir es mit zwei unterschiedlichen Entwicklungslinien zu tun: mit einer Entwicklung, die hin zur Schriftsprache führt und mit der Weiterentwicklung der Dialekte. Das sprachliche Gefüge wird komplexer. Es gibt die vielfältigen mündlichen Dialekte und die zur Vereinheitlichung tendierenden Drucke, dazwischen gibt es zahlreiche geschriebene Sprachvarietäten, die mehr oder weniger stark an der regionalen Mündlichkeit orientiert sind. Da wir erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit einer in orthographischer und grammatischer Hinsicht normierten Schriftsprache rechnen können, zeigen ältere Texte immer landschaftliche, dialektale Kennzeichen.
«Die Herausbildung der nhd. Schriftsprache wird als komplexer Prozess der Normierung und des Ausgleichs verstanden, an dem vielfältige sprachliche, historische und kulturelle Kräfte mitgewirkt haben, und der sich über den gesamten frnhd. Zeitraum erstreckt. Wesentliche fördernde Momente dieser Entwicklung sind die immer stärker ausgeweitete Verwendung der dt. Sprache gegenüber dem Lat. in den verschiedensten Bereichen der schriftlichen Überlieferung, die Papierherstellung, die Erfindung des Buchdrucks, die wachsende Bedeutung der Städte und des Bürgertums sowie die humanistischen und reformatorischen Bewegungen.» (Claudine Moulin-Fankhänel)

Albert Ölinger verwendet in seiner Grammatik Latein als Beschreibungssprache. Auf dem Hintergrund seiner Unterrichtserfahrung in Straßburg notiert er interessante morphologische Beobachtungen, im obigen Ausschnitt über das Genus der Substantive.
Albert Ölinger, Vunderricht der Hoch Teutschen Spraach, Straßburg 1573.

Der alemannische Raum, der viele lautliche Merkmale des Mittelhochdeutschen in der Mündlichkeit bewahrt hat, übernimmt die entsprechenden Schreibungen zumeist erst im 17. Jahrhundert und vollzieht erst dann den Übergang zur nhd. Schriftsprache.
Einen Überblick über die kanzleisprachlichen Verhältnisse findet sich in der Tabelle von Sonderegger. Die Abfolge der Städte von links nach rechts zeigt ungefähr die Durchführung der Neuerungen. Die Daten kennzeichnen jeweils den Abschluss der Entwicklung.
Die Vorgänge im 17. Jahrhundert in der Schweiz kann man folgendermassen charakterisieren: Vorläufer im Übergang zur nhd. Schriftsprache ist die Basler Druckersprache. Allgemein findet in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine deutliche Hinwendung zur nhd. Schreibweise statt. Diese ist natürlich je nach Quellengattungen bzw. Region sehr verschieden. Wichtig ist aber, dass wie auch in den anderen südlichen Regionen Österreich und Bayern in dieser Zeit die Orientierung hin auf die prestigereiche Literatursprache ostmittel- und norddeutscher Prägung beginnt.

Vergleich zweier frühneuhochdeutscher Drucke aus Basel und Nürnberg. Landschaftliche Unterschiede in Sebastian Brants Narrenschiff (1494).

Bis in die Neuzeit hinein, vor der Durchsetzung der neuhochdeutschen Schriftsprache, sind deutsche Texte also sprachlich nicht einheitlich, was einerseits die Lektüre erschwert, andererseits aber auch Hinweise auf Entstehungszeit und -raum gibt. Man muss bei der Analyse aber davon ausgehen, dass sich Schriftlichkeit und Mündlichkeit nie völlig decken.
Bei der Analyse ist es hilfreich einen ersten zeitlichen Anhaltspunkt zu haben. Wenn wir beispielsweise einen Text von 1500 haben, stellt sich die Frage, inwieweit noch mittelhochdeutsche Kennzeichen bewahrt bzw. wie stark ausgeprägt bereits frühneuhochdeutsche Formen auftreten, ob wir also Formen wie «huß», «win», «nûw» oder «hauß», «wein», «neuw» lesen können. Besonders für die frühneuhochdeutsche Zeit ist eine Vielzahl von Schreibungen und Wortvarianten charakteristisch. Ein Text, der um 1500 Formen wie «hauß», «wein» zeigt, kann nicht aus dem alemannischen Raum stammen. Umgekehrt zeigt ein bairischer Text um 1500 keine Formen wie «huß» oder «win» mehr.

Aus: Hauser, Albert / Galle, Sara, «Gebts uber tisch warm fur gest». Das Kochbuch von 1581 aus dem Stockalperarchiv, hg. vom Geschichtsforschenden Verein Oberwallis, Brig 2001, fol. 27 r/v, S. 69.

Analyse:
Die Diphthongschreibungen zeigen die Ergebnisse der nhd. Diphthongierung wie in wîn > wein.

Die Entrundungen zeigen den Wandel von üe > ieö > eü > i wie in rösten > resten.

Diminutivsuffix -lin-li.

Die Schreibung der mhd. alten Diphthonge als <ai, ay> gegenüber derjenigen der neuen Diphthonge <ei>.

Für sprachwissenschaftliche Fragestellungen und auch zur Datierung und Lokalisierung ist eine genaue Analyse der Schreibungen nötig, die manchmal auch Details wie Häkchen, Klein- oder Grossschreibung etc. betrifft. Daher ist es aus sprachwissenschaftlicher Sicht immer nötig, möglichst genau zu transkribieren.
Der nebenstehende Text stammt aus einem Kochbuch, das in das Jahr 1581 datiert ist und im Stockalperarchiv in Brig (Wallis) aufbewahrt wird. Die Frage, die sich in Bezug auf diesen Text stellt: Ist er in der Schweiz entstanden? Was sagt die lautliche Gestalt des Textes darüber aus?
Die farbigen Markierungen im Text zeigen ausgewählte lautliche Merkmale, anhand derer der Text sprachlich analysiert und einem landschaftlichen Raum zugeordnet werden kann.