Testament aus Piuro

Der Kirchturm von Chapella mit den Mauerresten der verfallenen Kapelle. Hinter dem Kirchturm ist in dem Bild aus dem Jahr 1911 das Hospiz zu sehen. Staatsarchiv Graubünden, FN XII 18/24 Nr. 06250.

Die Transkription lautet:

(ST) Anno dominice incarnationis milleximo ducenteximo nono, octavo die intrante ianuario, indictione XII. In nomine domini. Johannes
filius quondam Marie de Spineta de Bregonio iacens in magno malo nolens res suas inordinatas relinquere,
sed secundum quod sibi melius visum fuit, eas disponere decrevit. In primis statuit et ordinavit, ut Gota
soror sua uxor Johannis Oculi de Lupo de Plurio et relique sorores eius et neptes et nepotes habere debeant post
eius decessum omnes res eius mobiles et immobiles. Et statuit et ordinavit ipse Johannes, ut Petrus de Prato de Scanevo
et Johannes de Prato eius frater barbani sui dividere debeant predictas res omnes inter sorores eius et neptes et nepotes
prout eis melius videbitur, secundum paupertatem earum et secundum quod ei melius servierunt. Et statuit et ordinavit ipse
Johannes, quod siquis pro eo aliquod disspendium fecerit, quod illud disspendium prius ei solvatur et postea alie res divi-
dantur.
Übersetzung:

(Notarssignet) Im Jahr des Herrn 1209, 8. Januar, 12. Indiktion. Im Namen Gottes. Johannes, Sohn der verstorbenen Maria von Spineida aus Bergün/Bravuogn, liegt im Sterben. Er möchte seine Sachen nicht ungeordnet hinterlassen, deshalb hat er beschlossen, sie zu regeln, so gut er kann. Als erstes verordnet er, dass seine Schwester Gota, die Ehefrau von Johann Oculi de Lupo von Piuro, und seine übrigen Schwestern sowie seine Nichten und Neffen nach seinem Tod alle beweglichen und unbeweglichen Güter erhalten sollen, die ihm gehören. Johannes verordnet zudem, dass seine Onkel Peter de Prato von S-chanf und dessen Bruder Johannes de Prato alle besagten Sachen aufteilen sollen unter den Schwestern, Nichten und Neffen, wie es ihnen am besten dünkt, gemäss der Bedürftigkeit eines jeden unter den Erben und wie es diesen am besten dient. Besagter Johannes bestimmt noch, dass, sollten dafür Kosten entstehen, diese zuerst bezahlt werden müssen und erst danach das bleibende Vermögen aufgeteilt werden darf.

Erklärung:

Die Frömmigkeit war im Mittelalter tiefgreifend. Die Angst vor der ewigen Verdammnis führte dazu, dass man "Vorsorgepläne" für das Jenseits schmiedete. Gute Werke waren für das Seelenheil förderlich. Zu diesen gehörten der Bau und Unterhalt von Kirchen, die Sorge um Arme und Kranke und die Förderung des Gottesdienstes. Gebete, Almosen und Messen wurden als Sühneopfer verstanden, die den Seelen der Verstorbenen Hilfe und Läuterung brachten. Der Umgang mit dem Jenseits war von kaufmännisch geprägten Handlungsweisen gelenkt. Noch während der Lebenszeit wurden Jahrzeiten, also Votivmessen, gestiftet, die man jährlich am Todestag des Verstorbenen feierte, und Kirchen und geistlichen Institutionen Grundstücke, Geld oder Zinsen vermacht. 

In unserer Urkunde regelt Johannes, Sohn der verstorbenen Maria von Spineida in Bergün/Bravuogn, der im Sterben liegt, seine Angelegenheiten mit einem Testament. Als Testamentsvollstrecker ernennt er seine Onkel Peter und Johannes de Prato. Sie müssen das Erbe unter den Hinterbliebenen aufteilen.