Schreibkalender: Notizenseite
Die Pest im 17. Jahrhundert
Europa wurde vom 14. bis zum 17. Jahrhundert von mehreren Pestwellen heimgesucht. Die erste grosse Pestwelle erreichte die Schweiz Ende 1347 von Süden her im Rhonetal und im Tessin. Danach trat die Epidemie alle 10 bis 20 Jahre auf. Die Eintrittspforten waren vorwiegend die Verkehrs- und Handelswege von Norden her über Basel und aus dem Westen über Genf. Bei den Pestausbrüchen handelte es sich meistens um die über den Menschenfloh verbreitete Beulenpest. Die Seuche wurde von der frühneuzeitlichen Gesellschaft als Strafe Gottes für ein sündhaftes Leben angesehen. Die Anrufung von Heiligen, insbesondere von Sebastian und Rochus, sowie Beichten und Gottesdienste waren dabei ein Versuch, Gott mit den Menschen zu versöhnen. Annalistische Aufzeichnungen erklären Seuchen häufig in Zusammenhang mit astrologischen Ereignissen wie Kometenfall, Sonnen- und Mondfinsternissen und bestimmten Sternkonstellationen. Erdbeben, Gewitter, Vogelflug, Hunger und Krieg kündigten nach Meinung der Zeitgenossen ebenfalls Pestausbrüche an. Die Obrigkeiten versuchten mit in Mandaten abgedruckten Vorschriften und Massnahmen das Verhalten der Menschen zu regulieren. Handel und Verkehr wurden eingeschränkt, Kranke isoliert und unter Quarantäne gesetzt, Ausgangsverbote verhängt und Menschenansammlungen verhindert.
Auch das Kloster St.Gallen blieb von den Pestwellen nicht verschont. Die Pestjahre 1629 und 1635 sind mit verheerenden Folgen dokumentiert. Eine im Stiftsarchiv überlieferte Beschreibung von 1629 beschreibt den Ausbruch der Seuche, die Stimmung unter den Klostermönchen und der Stadtbevölkerung sowie den Krankheitsverlauf. Rund 30% der Bevölkerung starben 1629 in der Stadt St.Gallen an der Pest. Neben vorbeugenden Massnahmen, wie Aderlass, Abführpillen und Diätvorschriften, war das Grundverhalten gegenüber der Pest die Flucht. 1594 wies der Abt von St.Gallen den Konventualen die Klostergebäude im toggenburgischen St.Johann und das Schloss Schwarzenbach als Zufluchtsstätten an. Im Jahr 1629 flüchte die Klostergemeinschaft nach Rorschach. Im Kloster St.Gallen selber traf man besondere Vorkehrungen. Alle Gänge und Zimmer, Kirche und Chor wurden täglich mit Wacholderbeeren ausgeräuchert, Fenster und Türen blieben zum Lüften Tag und Nacht offen. Die Beichtstühle wurden so versetzt, dass frische Luft hineinströmte und die Beichtväter hatten die Öffnungen mit in Essig getauchten Schwämmen zu reinigen. Allen Kranken und Verdächtigen war das Betreten der Kirche und öffentlicher Gebäude per Mandat untersagt. Zur Stärkung der körperlichen Verfassung der Konventualen lockerte der Abt das kirchliche Ordensfasten und liess etwas besseres Essen servieren. Der Abt hatte grossen Einfluss auf die Überwachung des fürstäbtischen Territoriums zur Abwehr gegen die Pest. Bereits am 8. Januar 1629 erliess der Abt ein Pestmandat, wonach die Isolation und Betreuung der Pestkranken, die Beichten und die Beerdigungszeremonien reglementiert wurden. Die Herausforderung war, Menschensammlungen einzuschränken und trotzdem die religiösen Bedürfnisse durch Gottesdienste abzudecken.
In den Jahren 1665 bis 1670 wurde die Schweiz von der letzten Pestwelle heimgesucht. Mit den Erfahrungen aus den vorangegangenen Pestzügen hatten die St.Galler Obrigkeiten bereits ein Kompendium an Massnahmen und Regeln zur Verfügung, um die Pest abzuwehren. Neu wurden sogenannte Feden (Gesundheitspässe) verteilt, welche bei der Einreise in einen Ort vorzuweisen waren. Erstmals setzte die Stadt auf sogenannte Bandos, also Personen- und Warensperren für von der Pest betroffenen Orte. Der Abt ging mit einem Edikt der Stadt voraus und schränkte jeglichen Handel von und zu diesen Orten ein. Bettler, Soldaten, Glasträger, Krämer und andere nicht sesshafte Personen erhielten keinen Zugang zur Stadt, auch wenn sie im Besitz eines gültigen Gesundheitspasses waren. Im Herbst 1665 wurde der Ausbruch der Pest im Lenzburgischen gemeldet. Der Fürstabt reagierte stärker als die Stadt und liess keinen ohne Feden passieren, egal woher er kam. Von anderen Orten kam die Kritik auf, der Abt würde dem Handel den letzten Stoss geben. Der Abt erneuerte jedoch auch 1666 und 1667 sein Mandat. Gleichzeitig forderte er dazu auf, Lebensmittelvorräte anzulegen, da Teuerung und Hungersnöte oft Pestseuchen begleiteten. Ende 1667 forderte die Pest in Basel und im Bernbiet mehrere Opfer, sodass Abt Gallus Alt (1654-1687) die Bevölkerung zu Wachsamkeit und besserem Lebenswandel aufforderte: "dass ihr ingsesambt und ein jedwederer besonders ewere gemüeter gegen Gott erhebe, an ewer hertz klopffe, die sünden reüwfertig beweinen undt ewere haisse seüffzer gen himel schickhen, damit der algüetige Gott sich uber unns vätterlich erbarmen undt nit nach unnserem verdienen straffen wolle." Diese äbtische Mitteilung erfolgte am 17. Dezember 1667, also genau am Tag, da unser Schreiber Stiplin seine Notiz über die Pest in den Schreibkalender schrieb. Der Abt blieb auch im kommenden Jahre bei seinen rigorosen Massnahmen, sodass die Stadt St.Gallen zu klagen begann. Im Januar 1669 berichtete der Landeshofmeister, die Pest wüte noch im Zürichbiet. Erst Ende März 1669 wurden in St.Gallen die Wachen eingezogen. Offensichtlich hatten sich die Abwehrstrategien im st.gallischen Gebiet bewährt, denn zwischen 1665 und 1670 wurden in den Sterbebüchern keine Pesttoten verzeichnet.
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