Über Archive

Bevor Du Dich auf die Suche nach den Quellen im Archiv machst, ist es sinnvoll, sich über einige grundsätzliche Punkte zu informieren.

Was ist überhaupt ein Archiv? Woher kommt der Name? Welche Funktionen haben Archive heute? Was kann man dort finden?

Das Klosterarchiv Einsiedeln hat seine Ursprünge im Mittelalter.

Das Wort «Archiv» geht zurück auf das lateinische «archivum», das vom griechischen «archeion» abgeleitet wird. Es lässt sich auf das Stammwort «arché», d.h. die Behörde, die Amtsstelle, zurückführen. Verwahrt wird in den Archiven das aus der Verwaltung erwachsene Schriftgut, das zu rechtlichen und administrativen Zwecken erhalten werden soll. Die ursprüngliche Aufgabe der Archive ist also die Verwahrung von Verwaltungsschriftgut, nicht etwa die Sicherung historischer Dokumente.
Zu den unmittelbaren Vorläufern der heutigen Archive zählen die Archivbildungen des Mittelalters. Im Zentrum steht die Wahrung besonderer Rechte und Besitztitel einzelner Institutionen oder Personen. Mit der Einführung des Papiers und der Zunahme der Schriftproduktion durch die Intensivierung der Verwaltungstätigkeiten nehmen die Archive immer mehr die Funktion eines schriftlich fixierten Gedächtnisses an.

Der Lesesaal des Staatsarchivs Zürich.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts werden die Archive fast ausschliesslich zu Regierungs- und Verwaltungszwecken genutzt und sind nicht öffentlich zugänglich. Erst die Französische Revolution bringt die für die gegenwärtige Funktion der Archive wichtigen Veränderungen.
Das französische Archivgesetz vom 25. Juni 1794 setzt fest, dass nicht mehr nur der rechtliche und administrative Wert eines Schriftstückes als Aufbewahrungskriterium ausschlaggebend sein soll, sondern auch seine historische, wissenschaftliche und künstlerische Bedeutung. Damit wird die Funktion der Archive begründet, historische Quellen zugänglich zu machen. Richtungsweisend ist auch die Verfügung, dass die Archive nicht mehr nur einzelnen Privilegierten, sondern allen interessierten Bürgern frei zugänglich sein sollten.

Titelblatt der von Marian Müller geschriebenen Archivverordnung (1773).
KAE, B.16/156.

Heute dienen die Archive der Entlastung der Verwaltung von nicht mehr laufend benötigten Akten. Sie sind Einrichtungen, die sich mit der Erfassung, Aufbewahrung und Erschliessung von Archivgut befassen, das in der Regel von den Stellen, bei denen es entstanden ist, an die Archive abgeliefert wird.
Neben der Sicherung öffentlicher und privater Rechte und den Aufgaben im Verwaltungsbereich erfüllen die Archive heute vermehrt Aufgaben im Dienst der Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Forschung. Archivalien werden allgemein zugänglich gemacht und ihre (wissenschaftliche) Auswertung wird gefördert.
Die rechtlichen Grundlagen der Arbeit im Archiv sind die Archivordnung und das Archivgesetz. Sie regeln die Archivierung, die Benutzung und den Datenschutz und wahren die verschiedenen Interessen wie Amtsgeheimnis, Forschungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz.

Eine Aufgabe der Archive ist die Sicherung und Restaurierung gefährdeter Bestände.
Bild: Juerg.hug, Staatsarchiv Zürich, CC BY-SA 3.0
Auswahl, Übernahme und Erschliessung von Quellen in ihrem Entstehungszusammenhang
Bewahrung, Sicherung und Restaurierung der Bestände
Revision und Aktualisierung des bestehenden Inventars, Erfassung noch nicht registrierter Bestände
Publikation von Bestandesübersichten und Findmitteln
Erschliessung und Vorarbeiten zur Auswertung der Bestände: Erstellung von Regesten und Verzeichnissen
Informationen zum archivischen Dienstleistungsangebot
Editionen, Publikationen und Ausstellungen ausgewählter Archivalien
Bereitstellen der Quellen für die Nutzung
Betreuung der Benutzer
Verwaltung der Bibliothek
Bestände in anderen Archiven zu eigenen Themenbereichen erfassen
Beratung von Bildungseinrichtungen, Forschungsinstitutionen, Vereinen usw.
Entwicklung und Anpassung von Archivierungs- und Aufbewahrungsmethoden
Zusammenarbeit mit anderen Archiven, Mitwirkung in archivspezifischen Vereinen oder Organisationen
Auch Pläne werden im Archiv aufbewahrt: Hier ein Plan der Propstei St. Gerold (Vorarlberg) von 1678.
KAE, Plan 2.0430.0003

Gegenstand archivischer Verwahrung und Betreuung ist heute das gesamte Schrift-, Bild- und Tongut, das wegen seines rechtlich-verwaltungsmässigen, seines historischen, seines wissenschaftlichen oder künstlerischen Quellenwertes als archivierungswürdig befunden wird.
Dazu zählen unter anderem: Urkunden, Verträge, Akten, Protokolle, Rechnungs- und Steuerbücher, Grundbücher, kirchliche Tauf-, Ehe- und Sterberegister, Zivilstandsregister, Inventare, Jahresberichte sowie Briefe und Tagebücher aus Nachlässen, aber auch Karten, Pläne, Fotos, Flugschriften, Plakate und Zeitungen.
Heute werden Aufzeichnungen den Archiven zunehmend mittels elektronischer Datenträger übermittelt. Das hat den Vorteil, dass Informationsflüsse beschleunigt und Nachschlagemöglichkeiten verbessert werden können. Die Aufbewahrung digitaler Dokumente stellt aber auch vielfältige Anforderungen und verändert das Archivwesen nachhaltig.

Im Vor- und Arbeitsraum des Klosterarchivs Einsiedeln wurden Archivbestände des aufgehobenen Klosters Rheinau verwahrt.

Der Inhalt und das Alter der Archivbestände ist geprägt von der Trägerschaft des Archivs. Die Bestände der Kantone und Gemeinden reichen in der Regel ins Mittelalter zurück, der Schwerpunkt des Schriftguts des seit 1848 existierenden Bundesstaates liegt erwartungsgemäss in neuerer Zeit.
Die Archive heute nicht mehr existierender (Gebiets-)Körperschaften, zum Beispiel geistlicher Institutionen, die nach ihrer Auflösung keinen Nachfolger gefunden haben, bestehen als abgeschlossene Archive selbstständig oder integriert innerhalb eines grösseren Archivs, meist eines Staatsarchivs, weiter.


Anlieferung von Archivalien im Staatsarchiv Zürich.

Da der Umfang des Schriftgutes moderner Verwaltungen immer grösser wird, muss dieses nach bestimmten Kriterien ausgewählt, geordnet, klassiert und verwaltet werden. Ansonsten ist es weder für die aktenproduzierende Stelle noch für das Archiv brauchbar. Die Archivbestände umfassen also immer nur eine Auswahl des anfallenden Schriftgutes.
Die Regelung des Auswahlverfahrens wird üblicherweise in Zusammenarbeit mit den einweisenden Stellen (Vorarchivierung) getroffen. Während staatliche Archive gesetzliche Verpflichtungen von Behörden und Verwaltungsorganen gegenüber der Öffentlichkeit berücksichtigen müssen, spielt bei nichtstaatlichen Archiven vor allem das institutionelle, öffentliche und historische Interesse an gewissen Informationen eine ausschlaggebende Rolle. Die Archive sind an den Datenschutz gebunden.

Die Unterscheidung muss nicht institutioneller Art sein: Das Schweizerische Sozialarchiv konzentriert sich seit seiner Gründung 1906 auf die Dokumentation der so genannten sozialen Frage, sozialer Bewegungen und des gesellschaftlichen Wandels. Die Institution hat aber auch eine Abteilung Archiv, deren Schwerpunkt die Bestände aus Parteiarchiven bilden, sowie eine Spezialbibliothek zum Thema Gesellschaftsfragen und Gesellschaftswissenschaften.
Bild: Roland zh, Mühlebach - Haus zum Sonnenhof Schweizerisches Sozialarchiv & Theater Stadelhofen - Stadelhoferstrasse 2011-08-09 15-23-38 ShiftN3, CC BY-SA 3.0

Während Archive aus der Verwaltung heraus entstanden sind, werden Bibliotheken als Sammlungen von Wissen für die Fürsten und später für Gebildete sowie als Teil der Bildungspolitik des Staates für die Bürger errichtet. Erst seit neuerer Zeit existieren Dokumentationsstellen für die gezielte Beantwortung wissenschaftlicher, technischer oder wirtschaftlicher Fragen anhand des vorhandenen Wissens.
Im Unterschied zur Bibliothek und zur Dokumentationsstelle wird das Schriftgut dem Archiv zugewiesen. Das Archiv bewahrt nur einmalige Schriftstücke auf, die als archivwürdig gelten und zueinander in Beziehung stehen. In der Bibliothek stellt jedes Buch oder jede Buchreihe eine in sich geschlossene Einheit dar. In der Regel existieren auch mehrere Exemplare. Die Dokumentationsstelle stellt Informationen zu einem aktuellen Thema möglichst umfassend und unabhängig vom Träger zusammen. Bibliotheken und Dokumentationsstellen stellen Wissen gemäss ihrem Sammelprofil oder ihrer Dokumentationswürdigkeit zur Verfügung.
Archivgut enthält prozessbezogene und kontextabhängige Informationen, die Einsicht in die Entstehungsbedingungen von Entscheiden geben. Bedingt durch die Herkunft und die Struktur des Materials, das sie verwahren, kommt Archiven eine spezifische gesellschaftliche Funktion zu. Archive ermöglichen die Einsicht in die herrschaftliche und später die staatliche Verwaltungstätigkeit.